Bild 'Sonnenblumen' von VanGogh

Ritualkunst Ulrike Kehl



Nicht nur Trauerrednerin ? - auch Festrednerin

 Wegbereiterin durch die Gestaltung besonderer Zeremonien
 
Eine Hochzeit ist ein ganz besonderer Tag im Leben und verlangt nach einer besonderen Zeremonie. Diese Zeremonie gestalte ich in enger Zusammenarbeit mit dem Paar. In mehreren Gesprächen entwickeln sich auf natürliche Weise sowohl der Inhalt der Ansprache als auch die einzelnen Elemente einer persönlichen, bewegenden und in die Zukunft weisenden Zeremonie.

Ein Dankeschön eines Paares möchte ich als Beispiel dafür anführen, wie eine solche Zeremonie empfunden wird und wie sie weiterwirkt:

Katja und Jochen schreiben drei Monate nach ihrer Hochzeit:
"Vielen herzlichen Dank für alles, was du für uns getan hast. Unsere Hochzeit und ganz besonders die Zeremonie wird für uns immer eine glückliche und tragende Erinnerung sein. Obwohl wir zwischenzeitlich viel erlebt haben, ..., bewegt uns unsere Hochzeitsfeier noch jeden Tag aufs Neue. Wir haben einen Videofilm und viele tolle Bilder und vor allem viele positive Rückmeldungen unserer Gäste, die uns immer wieder ins "schwelgen" bringen. Eigentlich können wir es noch gar nicht fassen, wie genau die Zeremonie das getroffen hat, was wir uns erwünscht und erhofft haben. Unsere Ehe hat damit einen so guten Anfang genommen, dass wir jetzt mit noch intensiverer Freude auf unsere gemeinsame Zukunft blicken Wie du vorhergesagt hast, haben alle unsere Gäste unsere Vermählung als echte Hochzeit empfunden. Deine Rede war für uns und viele der Anwesenden Stoff zahlreicher ernsthafter und intensiver Gespräche. ... Deine Worte haben einiges bewegt. Im Kreise von Kusinen und Kusins wurde in den Tagen nach der Hochzeit intensiv darüber diskutiert, wie man selbst heiraten möchte und dabei  "aber auch in der Ehe" neue Wege gegangen werden können. Vielen Dank auch dafür. ...."


Das macht sehr deutlich, wie beglückend eine in enger Zusammenarbeit mit dem Paar entstandene Zeremonie ist.

Weitere Zeremonien, die mir am Herzen liegen, wären eine Zeremonie in einem bestimmten Zeitraum nach einer Geburt und eine Zeremonie, die den Eintritt eines Kindes in die Adoleszenz markiert. Von diesen ursprünglichen Zeremonien sind in unserem christlichen Kulturkreis nur noch die Taufe und die Konfirmation übrig geblieben, die aber beide nicht das Eigentliche thematisieren. Das ist schade, weil diese beiden Ereignisse (neben Hochzeit und Beerdigung) die wichtigsten Übergänge in unserem Leben darstellen. Wenn auch die Geburt eines Kindes und sein Eintritt in die Adoleszenz in einer Zeremonie gewürdigt werden würden, könnte dies sehr viel Kraft und Hilfe entfalten.

Aus dem Vorangegangenen dürfte deutlich geworden sein, dass meine Arbeit über die einer Trauerrednerin oder Festrednerin hinaus geht. Es geht mir bei einer Arbeit um mehr als um eine Rede, - obwohl die sorgfältig ausgearbeitete Rede im Zentrum der Zeremonie steht, - es geht um die Gestaltung eines Rituals.

Was dies beinhaltet, erhellen die beiden folgenden Texte:

Übergänge im Leben bewusst gestalten

Übergänge sind Schwellen auf unserem Lebensweg. Eine Schwelle ist eine Chance, innezuhalten und auf unser bisheriges Leben zurückzublicken.

Übergänge sind Tore zu neuem Werden. Ein Tor lädt ein zum Durchschreiten in eine veränderte Wirklichkeit. Tore sind Chancen zur Veränderung und zum inneren Wachstum.

Lebendig sein bedeutet eine kontinuierliche Veränderung, aber es gibt auch besondere Phasen in unserem Leben, Übergangsphasen, in denen wir uns sichtbar verändern.

Z.B die Pubertät, die Liebe, Schwangerschaft und Geburt, Beginn des Alterungsprozesses, Wechseljahre und Menopause und Altern, schließlich Sterben und Tod. Das sind die natürlichen Übergänge.

(Heute kommen noch kulturell bedingte Übergänge dazu: Ende der Schulzeit, Ausbildung, Berufseintritt, Wechsel der Arbeitsstelle, oft mit einem Ortswechsel verbunden, überhaupt Umzüge, v.a. wenn der Wohnort, das Bundesland oder gar das Land gewechselt wird, Trennung/Scheidung, Auseinanderfallen der Familie durch Wegzug der Kinder. Aber auch das Alleinleben im Alter, nach Tod des Partners oder der Umzug in ein Seniorenheim. Hierbei verändert sich wie bei den natürlichen Übergängen das Leben, aber nicht in einem längeren Prozess, sondern abrupt. Die kulturell bedingten Übergänge werden oft als Brüche empfunden, was sie auch sind. Wenn wir uns diese zivilisationsbedingten Brüche stärker bewusst machten und sie in einer Zeremonie verdeutlichten, könnten wir besser damit umgehen. Könnten wir besser mit dem oft als bedrohlich und überfordernd empfundenen Abbruch und Neuanfang umgehen. Vielleicht blieben uns auch depressive Stimmungen erspart.)

Seit Tausenden von Jahren wurden Übergänge bewusst gestaltet, Ethnologen haben die sog. "Rites de Passages" (Übergangsriten) in vielen Kulturen untersucht und beschrieben. Übergangsriten haben viele Funktionen und viele Ebenen. Sie verdeutlichen uns, wo wir gerade stehen, nämlich auf der Schwelle zwischen zwei Lebensphasen. Sie zeigen uns unseren Weg bis hierher auf und geben uns eine Perspektive für unseren zukünftigen Weg. Rituale enthalten und entfalten die Erfahrungen vieler Generationen. Übergangsrituale sind Gemeinschaftsereignisse. Sie betten uns in eine Gemeinschaft ein und zeigen uns damit, dass wir nicht alleine sind. Und Übergangsrituale haben immer auch eine religiöse Ebene, egal wie wir diese verstehen. Der lateinische Begriff ?religio? hieß wahrscheinlich ursprünglich Rückbindung, Anbindung oder Einbindung - in einen größeren Zusammenhang. Übergangsrituale helfen also dem Individuum bei der Lebensbewältigung, sind Zeichen für die Geborgenheit des/der Einzelnen in einer größeren Gemeinschaft und verdeutlichen die Verwurzelung des Einzelnen und der Gemeinschaft in den Kräften, die sie tragen.

Zeremonien, die an der Schwelle zwischen zwei Lebensphasen stehen, waren immer Teil unserer menschlichen Kultur. Die Zeremonien, mit denen diese Übergänge sichtbar gemacht werden, sind wohl die früheste und wichtigste Form künstlerischen Gestaltens. Diese Zeremonien sind Ursprung unserer Musik, unserer Tänze, des Theaters, der Poesie, der Märchen, der Malerei......

Das Ritual als lebendige Kunstform ? Kunst im Dienst der Lebensbewältigung

Die Ritualkunst ist uralt, so alt wie das Menschsein. Rituale wurden geschaffen, um den großen Ereignissen im menschlichen Leben eine Gestalt zu geben und damit ihre Bedeutsamkeit herauszustellen. Die großen Ereignisse in unserem Leben wie Geburt und Tod, Eintritt in die Pubertät und in das Altern, aber auch die Verbindung zweier Menschen markieren Übergänge. Ob freudiger oder trauriger Natur, Übergänge sind immer von überwältigenden Gefühlen begleitet. Sie stehen auf der Schwelle zu neuen unbekannten Erfahrungen und Neues, egal welcher Art wird oft auch als bedrohlich empfunden. Unsere Vorfahren haben begonnen, diesen großen Ereignissen mit ihren überwältigenden Gefühlen mit Ritualen, d.h. kunstvollen Inszenierungen zu begegnen. Alle unsere Kunstformen leiten sich von diesen uralten Ritualen her: Poesie, Musik, Tanz, Dramaturgie, Malerei, bildende Künste, .... Das alles war im Ritual vereint.

Rituale sind kunstvolle Inszenierungen, dazu geschaffen, die großen unabänderlichen Ereignisse menschlicher Existenz wirkungsvoll zu bewältigen. In der Kunst des Rituals waren der Alltag und das Lebensganze eins.

Bereits die Erschaffung eines Rituals ist ein wichtiger Teil der Bewältigung eines uns überwältigenden Ereignisses, sei es freudiger, trauriger oder bedrohlicher Natur. Aber erst im gemeinschaftlichen Vollzug entfaltet das Ritual seine Kraft. Ein Ritual, das seinen Namen verdient, gibt uns Sicherheit, Geborgenheit und Hoffnung.

Rituale haben viele Dimensionen und Funktionen ? aber ihr wichtigstes Anliegen war Einbindung/ Verbindung: Verbindung zwischen dem Einzelnen und der Gemeinschaft, Verbindung zw. dem Einzelnen und der Gemeinschaft und Verbindung der Gemeinschaft mit Natur und Kosmos, d.h. dem Ganzen des Seins. Ich verstehe das Ritual deshalb als Kunst der Lebensbewältigung. Es ist wahre Kunst, weil es die vielen unterschiedlichen Aspekte des Lebens zusammenführt und transzendiert. Weil es Möglichkeiten der Bewältigung aufzeigt, indem es inmitten chaotischer Gefühle eine Struktur gibt. Und einen Weg aufzeigt.

Wenn sich all unsere Kunstformen vom Ritual ableiten, das ein gemeinschaftliches Ereignis ist, und wenn das Ritual dazu diente und dient, die großen unabänderlichen Ereignisse im menschlichen Leben zu bewältigen, dann verstehen wir erst den Ursprung unserer Künste, dann verstehen wir erst die ursprünglich soziale Funktion der Kunst: Ritualkunst war Kunst im Dienst der Lebensbewältigung.

Und so möchte ich meine Arbeit als Trauerrednerin, als Festrednerin verstehen: Als eine Kunst im Dienst des Lebens.